Organoide – Mini-Organe in der Petrischale für die Krebs- & Corona-Forschung

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Organoid bedeutet organähnlich und ja, Organoide können die Erwartungen, die sich aus diesem Namen ergeben, durchaus erfüllen. Organoide sind Mini-Organe von etwa 0,1 - 2mm Größe, die von Wissenschaftlern ex vivo, also außerhalb des lebenden Organismus (in vivo), in sogenannten Petrischalen (Abbildung 1) kultiviert werden.

Vor gut 10 Jahren ist es Wissenschaftlern zum ersten Mal gelungen Organoide herzustellen, zu diesem Zeitpunkt ein faszinierendes und bahnbrechendes Ergebnis. Seitdem ist die Anwendung dieser Mini-Organe in der Wissenschaft rasant angestiegen und hat sich in viele innovative Richtungen entwickelt. Die ersten Organoide wurden vom Darm und Gehirn generiert, mittlerweile konnten Organoide von einer Vielzahl von Organen, wie zum Beispiel der Lunge, Niere, Leber und Prostata, hergestellt werden.

Somit sind Organoide kleine, organähnliche Strukturen, die außerhalb des Körpers unter bestimmten Laborbedingungen hergestellt und kultiviert werden können. Sie spiegeln ihr Ursprungsorgan in vielen Aspekten sehr gut wider und ermöglichen dadurch eine Vielzahl von Experimenten und Untersuchungen in der Petrischale, welche so im Organismus nicht möglich wären.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Organoiden ist, dass sie üblicherweise die Physiologie ihres echten Ursprungsorgans sehr gut abbilden. Sie wachsen 3-dimensional und weisen alle verschiedenen Zelltypen des jeweiligen Organs auf. Dies ermöglicht es auch die Interaktion dieser unterschiedlichen Zelltypen zu untersuchen, was zuvor mit sogenannten Zell-Linien (welche immer nur einen bestimmten Zelltyp repräsentieren und 2-dimensional wachsen) nicht möglich war.

Dadurch bieten Organoide uns Wissenschaftlern nun ganz neue Möglichkeiten Krankheiten zu erforschen und Heilungs-Ansätze zu entwickeln. So ist es Forschern zum Beispiel gelungen Insulin-produzierende Organoide von Pankreas-Inselzellen herzustellen (Lebreton et al., 2019). Diese könnten die Grundlage für neue Diabetes Typ1 Therapie-Ansätze darstellen. 

Nun haben wir eine erste Idee davon, was Organoide sind, was das Besondere an ihnen ist, aber:

Woraus werden Organoide eigentlich hergestellt?

Und welche Möglichkeiten bieten sie den Wissenschaftlern – insbesondere in der Krebs- & Corona-Forschung?

Grundsätzlich werden Organoide aus Stammzellen hergestellt. Stammzellen sind bestimmte Zellen in unserem Körper, die nicht spezialisiert sind, aber das Potential haben, spezialisierte Zellen (z.B. eine Muskelzelle) hervorzubringen. Dadurch sind unsere Stammzellen u.a. wichtig für die Aufrechterhaltung & Regeneration bestimmter Organe. Hierfür teilen sich Stammzellen und üblicherweise bleibt eine der beiden Tochterzellen eine Stammzelle (dadurch bleibt die Gesamt-Anzahl der Stammzellen weitgehend konstant), während sich die zweite Tochterzelle zu einer spezialisierten Zelle weiterentwickeln kann. Durch diesen Vorgang kann Gewebe erneuert und wieder hergestellt werden.

Organoide können nun beispielsweise aus Darmstammzellen eines erwachsenen (adulten) Organismus hergestellt werden. Dabei entstehen dann Darm-Organoide (Abbildung 2), Mini-Därme in der Petrischale, die alle spezialisierte Darmzellen aufweisen, z.B. Nährstoff-absorbierende Zellen (Enterozyten). In meiner Forschung arbeite ich hauptsächlich mit diesen Darm-Organoiden, mehr dazu gibt es unter My Research (auf englisch).

Stammzellen zur Organoid-Herstellung können aus Modell-Organismen, wie zum Beispiel der Maus, isoliert werden. Hier kommt nun ein großer Vorteil der Organoide zum Tragen, nämlich dass man sie sehr gut vermehren kann. Das bedeutet, dass man mit Organoiden, die man aus einer Maus gewonnen hat, über Wochen und Monate Experimente durchführen kann, wodurch sich die Anzahl von Experimental-Tieren stark reduzieren lässt. Mit diesen Organoiden lassen sich bestimmte Organ-Krankheiten erforschen, deren Entwicklung und Verlauf untersuchen und im nächsten Schritt Therapie-Ansätze entwickeln. Und all diese Vorgänge können Dank der Organoide ex vivo, also außerhalb eines Organismus, durchgeführt werden.

Ein noch größeres Potenzial bieten allerdings humane Organoide, welche beispielsweise aus Biopsie-Material gewonnen werden können. Dadurch können Krankheiten in humanen Organoiden untersucht werden, wodurch die Physiologie der entsprechenden Krankheit noch besser abgebildet wird und Ergebnisse besser auf den Menschen übertragbar sind. 

An dieser Stelle wichtig zu erwähnen: wann immer humane Proben in der Wissenschaft Verwendung finden, wurden die jeweiligen Projekte in einem Ethik-Antrag genehmigt und die Patienten müssen im Vorfeld einer (Gewebs-)Entnahme dieser zugestimmt haben.

 

Organoide in der Krebs- & Corona-Forschung:

In der Krebs-Forschung finden Organoide bereits seit einigen Jahren sehr große Anwendung. Während sie beispielsweise in der Virus-Forschung zunächst noch nicht so häufig verwendet wurden, haben sie spätestens seit der Corona-Pandemie in diesem Forschungsfeld ihren Durchbruch geschafft. Selbstverständlich können Organoide in jeder Forschungsrichtung Verwendung finden, in der es darum geht zu untersuchen, wie Krankheiten entstehen, wie sich Organe initial im Embryo entwickeln, beziehungsweise wie entsprechende Entwicklungsstörungen entstehen. Im Folgenden wollen wir uns aber explizit auf die Krebs- & Corona-Forschung fokussieren:

 

Organoide in der Krebs-Forschung:

Die Anwendung von Organoiden in der Krebsforschung ist sehr vielseitig (daher kein Anspruch auf Vollständigkeit meinerseits). Ein Grundprinzip, welches mit Hilfe der Organoide allerdings gut erforscht werden kann, ist die sogenannte Tumorheterogenität. Damit ist gemeint, dass sich Tumore verschiedener Patienten unterschiedlich verhalten (sie sind heterogen), unterschiedlich wachsen und unterschiedlich auf bestimmte Behandlungen ansprechen können. Dieser Umstand stellt natürlich eine große Herausforderung in der Behandlung von Krebs-Patienten dar.

Um das Ausmaß dieser Tumorheterogenität zu untersuchen, wurden bereits sehr viele Krebs-Organoide einzelner Patienten hergestellt und kryokonserviert, d.h. in flüssigem Stickstoff zur Langzeit-Lagerung tiefgefroren. Diese können nun bei Bedarf wieder aufgetaut und in Kultur genommen werden, um sie systematisch zu untersuchen. Diese Untersuchungen sollen Rückschlüsse und Zusammenhänge zum Beispiel zwischen bestimmten Mutationen und dem Tumor Wachstums-Verhalten liefern. Dabei gewonnene Informationen könnten dabei helfen, Therapieansätze weiter zu verbessern.

Weiterhin kann eine Vielzahl von Medikamenten an den Krebs-Organoiden getestet werden, um herauszufinden, welche Medikamente bei bestimmten vorliegenden Mutationen am effektivsten wirkt. Ein Ziel hierbei ist es natürlich, so viele Anhaltspunkte wie mögliche für eine effektive Behandlung ex vivo zu sammeln, bevor der Patient selber ins Spiel kommt.

In einem anderen Ansatz können gesunden Organoiden gezielt bestimmte Mutationen zugefügt werden, um zu untersuchen, welche Mutation-Kombinationen am häufigsten zur Entstehung von Krebs führen. Die Erkenntnisse aus solchen Untersuchungen helfen den Verlauf einer Krebs-Entstehung zu verstehen und mögliche Präventions-Maßnahmen oder Früherkennungen zu entwickeln.

 

Organoide in der Corona-Forschung:

Mit Hilfe von Organoiden kann eine Reihe wichtiger Fragen beantwortet werden, um zu verstehen, wie das Virus den Körper befällt und daraus Therapieansätze zu entwickeln. Denn aktuell gibt es zwar bereits Impfungen, allerdings noch wenige Möglichkeiten eine Corona-Infektion gezielt zu behandeln. Und auch im Bereich der Long-Covid Erkrankung sind noch sehr viele offene Fragen zu beantworten.

Welche Organe kann das Corona-Virus befallen?

Welche Zelltypen in dem jeweiligen Organ befällt das Corona-Virus?

Wie ist der zeitliche Verlauf einer Infektion in den jeweiligen Organen? Wann beginnen die Zellen sich gegen das Virus zu wehren und ab wann beginnen die körpereigenen Zellen abzusterben (ein Prozess, welcher vielen Patienten schwer zu schaffen macht)?

All diese Frage, und noch viele weitere, können mit Hilfe von Organoiden adressiert werden. Unter kontrollierten Laborbedingungen, die höchsten Sicherheitsvorkehrungen unterliegen, können Organoide mit dem Corona-Virus infiziert werden und im weiteren Verlauf vielseitig untersucht werden. Diese Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass das Corona-Virus eine Vielzahl von Organen befallen kann, was die Multiorganschäden bei einigen Corona-Patienten erklärt.

Weiterhin können, ähnlich zu den Krebs-Organoiden, auch Corona-infizierte Organoide auf eine Vielzahl von Medikamenten getestet werden, um herauszufinden, welche Therapie wirksam sein könnte (Abbildung 3). Für diese Experimente wurden bisher insbesondere Lungen-Organoide untersucht, da in der Lunge das Corona-Virus am stärksten wütet. Hierbei konnten erste vielversprechende Medikamenten-Kandidaten identifiziert werden, welche nun weiter untersucht und getestet werden müssen (Han et al., 2020). 

Abbildung 3: Schemata zum Ablauf eines Wirkstoff-Tests an Corona-infizierten Organoiden zur Identifizierung möglicher Therapie-Ansätze von Corona-Patienten.

Abbildung 3: Schemata zum Ablauf eines Wirkstoff-Tests an Corona-infizierten Organoiden zur Identifizierung möglicher Therapie-Ansätze von Corona-Patienten.

Ein weiteres Potenzial von Organoid-Experimenten liegt in der Untersuchung verschiedener Virus-Varianten. So konnten Forscher herausfinden, dass die B.1.7.1 Variante, die zuerst in Großbritannien entdeckt wurde (nun in alpha-Variante umbenannt), in einem späteren Infektions-Stadium sich stärker vermehren kann als das Ursprungs-Virus (Lamers et al., 2021), was ihre schnellere Übertragung erklären könnte. Die Eigenschaften neuer Virus-Varianten frühzeitig zu erkennen, könnte zukünftig einen wichtigen Baustein darstellen, um notwendige Maßnahmen entsprechend einzuleiten. 

Diese Anwendung könnte nicht nur auf das Corona-Virus, sondern beispielsweise auch auf Influenza-Viren angewandt werden, welche ja in jeder Saison unterschiedlich stark infektiös & gefährlich sind.

 

Somit stellen Organoide ein wichtiges Werkzeug in vielen verschiedenen Forschungsgebieten dar. Die hier vorgestellten Beispiele sind nur einen Bruchteil der breiten Anwendungsgebiete von Organoiden, welche durch weitere Optimierung auch mit Sicherheit noch viele neue Entdeckungen ermöglichen werden. Ein wichtiger Optimierungs-Schritt, an dem aktuell viel geforscht wird, ist beispielsweise die gemeinsame Kultivierung von Organoiden mit Immunzellen oder Blutgefäßen, welche in vielen Prozessen, wie beispielsweise einer Virus-Infektion, eine wichtige Rolle spielen.

 

Weitere Fragen rund um das Thema Organoide können gerne unten in der Kommentar-Spalte gestellt werden, ich versuche diese dann in weiteren Blog-Beiträgen einzubauen (oder direkt zu beantworten).



Weiterführende & zitierte Literatur:

https://www.spektrum.de/news/organoide-mini-organe-loesen-raetsel-von-covid-19/1880407

Lebreton et al., 2019: Insulin-producing organoids engineered from islet and amniotic epithelial cells to treat diabetes

Han et al., 2020: Identification of SARS-CoV-2 inhibitors using lung and colonic organoids.

Lamers et al., 2021: Human organoid systems reveal in vitro correlates of fitness for SARS-CoV-2 B.1.1.7

 
Abbildung 1: Eine typische Petrischale (48-Well Platte), in der ich meine Organoide kultiviere. Eine solche Platte hat quasi 48 kleine Petrischalen und in jeder können in etwa 100 Organoide gleichzeitig wachsen.

Abbildung 1: Eine typische Petrischale (48-Well Platte), in der ich meine Organoide kultiviere. Eine solche Platte hat quasi 48 kleine Petrischalen und in jeder können in etwa 100 Organoide gleichzeitig wachsen.

 
Abbildung 2: 3-dimensionale Aufnahme eines Darm-Organoids (Maus). In Blau sind einzelne Zellkerne eingefärbt, in Grün die Zellmembran, also der Umriss der einzelnen Zellen, und in Gelb ein bestimmter Zelltyp des Darms.

Abbildung 2: 3-dimensionale Aufnahme eines Darm-Organoids (Maus).

In Blau sind einzelne Zellkerne eingefärbt, in Grün die Zellmembran, also der Umriss der einzelnen Zellen, und in Gelb ein bestimmter Zelltyp des Darms.